Warum klassische ADHS-Tipps oft nicht greifen – und was wir über Regulation (wirklich) verstehen müssen
Es gibt diese Tage, an denen man als Eltern einfach nicht mehr kann.
Man hat alles versucht: Struktur, Rituale, Belohnungssysteme. Doch das Kind explodiert trotzdem. Oder zieht sich komplett zurück.
Und man fragt sich: Was mache ich falsch?
Ich möchte heute keine neue Methode vorstellen.
Sondern dich einladen, einen Schritt zurückzugehen – und tiefer zu schauen.
Verhalten ist keine Absicht
– sondern ein Ausdruck innerer Zustände
Gerade bei Kindern mit ADHS (oder Verdacht darauf) neigen wir dazu, Verhalten zu bewerten:
laut = ungezogen, unruhig = unkonzentriert, wütend = trotzig.
Dabei ist Verhalten oft nur die sichtbare Oberfläche eines überlasteten Nervensystems.
Ein Beispiel:
Ein Kind, das auf dem Spielplatz grundlos schreit und andere schubst, sendet womöglich unbewusst ein SOS.
Nicht: „Ich will Ärger machen“,
sondern: „Ich bin überfordert. Ich spüre mich nicht. Ich halte das nicht aus.“
Warum klassische Strategien hier oft nicht greifen
Viele Eltern haben gelernt, mit Regeln, Konsequenzen und Belohnungssystemen zu arbeiten.
Das funktioniert – solange das Kind in der Lage ist, sich selbst zu regulieren.
Aber: ADHS bedeutet oft genau das Gegenteil.
Wenn das Nervensystem im „Alarmzustand“ ist, schaltet das Gehirn in den Überlebensmodus.
Logik, Sprache, Kooperation? – Alles offline.
Was das Kind dann braucht, ist keine zusätzliche Anforderung – sondern Ko-Regulation. Also: jemanden, der es hält, ohne es zu kontrollieren.
Nervensystemarbeit
– eine Perspektive, die vieles verändert
Als ich begonnen habe, mich intensiver mit dem autonomen Nervensystem auseinanderzusetzen, wurde mir klar:
ADHS ist nicht nur eine kognitive, sondern eine körperlich-vegetative Herausforderung.
Das erklärt, warum viele Kinder (und Erwachsene!) nicht nur mit Reizfilterschwächen kämpfen, sondern mit Schlafproblemen, Bauchschmerzen, innerer Unruhe – ohne dass medizinisch „etwas gefunden“ wird.
Regulation beginnt also nicht mit Regeln, sondern mit Körperwahrnehmung.
Mit Sicherheit. Mit dem Gefühl: Ich bin okay. Ich bin nicht in Gefahr.
Was das für Eltern bedeutet
– ganz praktisch
Ich habe in meiner Arbeit erlebt, wie sich Situationen verändern, wenn wir nicht mehr direkt auf Verhalten reagieren, sondern auf den inneren Zustand achten:
-
Wenn wir Reizreduktion ernst nehmen – nicht als „Verwöhnen“, sondern als Schutz
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Wenn wir uns selbst regulieren, bevor wir etwas vom Kind verlangen
-
Wenn wir akzeptieren, dass Wachstum nicht linear, sondern wellenförmig verläuft
Das ist nicht immer leicht – vor allem dann nicht, wenn man selbst als Elternteil ständig im Funktionsmodus lebt.
Aber genau deshalb lohnt sich der Blick aufs Nervensystem – bei deinem Kind und bei dir selbst.
Fazit:
Du bist nicht schuld – aber du bist Schlüssel
Eltern tragen keine Schuld, wenn ihr Kind anders reagiert als andere.
Aber sie tragen etwas anderes: eine große Chance.
Die Chance, ein neues Verstehen zu entwickeln.
Die Chance, Sicherheit zu schenken – auch ohne perfekte Lösungen.
Wenn wir beginnen, das Nervensystem als Kompass zu betrachten, verschieben sich Perspektiven:
Von Kontrolle zu Verbindung.
Von Bewertung zu Begleitung.
Von Reaktion zu Resonanz.
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